Quelle:Akademie für Fortbildung in Psychotherapie (AFP)
Soziale Phobie: Grundlagen und neue Entwicklungen Kognitiver Verhaltenstherapie [1]
Autoren: Prof. Heidenreich u. Prof. Stangier, Hochschuldozenten
Die Soziale Phobie (SP) bzw. Soziale Angststörung stellt epidemiologischen Studien zufolge eine sehr häufige Angststörung dar, die in der Praxis immer noch deutlich unterdiagnostiziert ist. Der vorliegende Artikel stellt zunächst das Störungsbild Soziale Phobie/Soziale Angststörung vor. Die kognitive Konzeption der SP von Clark und Wells, die Besonderheiten der Informationsverarbeitung bei Sozialer Phobie wesentlich umfassender berücksichtigt als bisher übliche kognitiv-verhaltenstherapeutische Ansätze, wird ausführlich dargestellt. Im Zentrum des Artikels steht die praktische Darstellung der von Stangier, Heidenreich und Peitz auf der Basis des Ansatzes von Clark und Wells vorgestellten Behandlung der Sozialen Phobie: Nach der Ableitung eines idiosynkratischen Modells der SP folgen eine kognitive Vorbereitung auf die Exposition (Veränderung von Aufmerksamkeitslenkung und Sicherheitsverhalten), Exposition in vivo und Verhaltensexperimente, verbale Überprüfung negativer Kognitionen sowie die Rückfallprophylaxe. Der Artikel schließt mit einem kurzen Überblick über empirische Arbeiten zum vorliegenden Ansatz und einem Ausblick auf weitere Entwicklungen. |
Soziale Phobie: Störungskonzept
Obwohl der Begriff „Soziale Phobie“ erst 1980 ins „Diagnostic and Statistical Manual“ der American Psychiatric Association (APA, 1980) aufgenommen wurde, werden darunter Ängste und Verhaltensweisen zusammengefasst, die schon seit Jahrhunderten beschrieben wurden. Da die Bezeichnung „Phobie“ häufig mit einem eher eng umgrenzten Störungsbegriff in Verbindung gebracht wird, setzt sich in englischen Publikationen aktuell zunehmend der Begriff „Soziale Angststörung“ (social anxiety disorder) durch (Liebowitz, Heimberg, Fresco, Travers & Stein, 2000), der aller Wahrscheinlichkeit nach auch in neueren Fassungen des DSM Eingang finden wird. Im Zentrum dieser Störung steht die Befürchtung, dass das eigene Verhalten oder bemerkbare körperliche Symptome (z.B. Zittern, Schwitzen, Erröten) von anderen Menschen negativ bewertet werden könnten. Diese Befürchtungen gehen in der Regel einher mit ausgeprägten Angst- und Schamgefühlen, Anspannung und einer Neigung zur Vermeidung der gefürchteten Situationen. In der Forschung wurden verschiedene Situationsklassen unterschieden, etwa „performance situations“ (in denen Menschen Handlungen vor anderen Menschen vollziehen, z.B. essen oder trinken) und „interaction situations“ (in denen Menschen mit anderen Menschen interagieren, z.B. mit Fremden oder auch Bekannten). Tabelle 1 zeigt die diagnostischen Kriterien der Sozialen Phobie nach dem DSM-IV (APA, 1994).
Tabelle 1:Diagnostische Kriterien für Soziale Phobie nach DSM-IV
Soziale Phobie (Soziale Angststörung) (DSM-IV; 300.23) |
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A: |
Eine dauerhafte und übertriebene Angst vor einer oder mehreren sozialen oder Leistungssituationen, bei denen die Person mit unbekannten Personen konfrontiert ist oder von anderen Personen beurteilt werden könnte. Die Person fürchtet, ein Verhalten (oder Angstsymptome) zu zeigen, das demütigend oder peinlich sein könnte. |
B: |
Die Konfrontation mit der gefürchteten Situation ruft fast immer eine unmittelbare Angstreaktion hervor, die das Erscheinungsbild eines situationsgebundenen oder eines situativ vorbereiteten Panikanfalls annehmen kann. |
C: |
Die Person sieht ein, dass die Angst übertrieben und unvernünftig ist. |
D: |
Die gefürchtete soziale oder Leistungssituation wird vermieden oder nur unter intensiver Angst oder Unbehagen ertragen. |
E: |
Das Vermeidungsverhalten, die ängstliche Erwartungshaltung oder das Unbehagen in den gefürchteten sozialen oder Leistungssituationen beeinträchtigt deutlich die normale Lebensführung, schulische (oder berufliche) Funktionsfähigkeit oder soziale Aktivitäten oder Beziehungen, oder die Phobie verursacht erhebliches Leiden. |
F: |
Bei Personen unter 18 Jahren hält die Phobie über mindestens sechs Monate an. |
G: |
Die Angst oder das Vermeidungsverhalten wird nicht direkt durch physiologische Effekte einer Substanz (z.B. Drogenmissbrauch, Medikation) oder durch eine organische Erkrankung hervorgerufen und kann nicht besser durch eine andere Psychische Störung (z.B. Paniksyndrom mit oder ohne Agoraphobie, Trennungsangst, Dysmorphophobie, Tiefgreifende Entwicklungsstörung oder Schizoide Persönlichkeitsstörung) erklärt werden. |
H: |
Falls eine organische Erkrankung oder eine andere psychische Störung vorliegt, so steht sie nicht in Zusammenhang mit der unter Kriterium A beschriebenen Angst, z.B. nicht Angst vor Stottern oder Zittern bei einem Parkinson-Syndrom oder dem Zeigen von abnormen Essverhalten bei Anorexia nervosa oder Bulimia nervosa. |
Im Gegensatz zum DSM-III (APA, 1980) ist die Soziale Phobie demnach nicht nur durch eng umgrenzte Ängste (etwa zu zittern oder zu erröten) gekennzeichnet, sondern durch zum Teil sehr generalisierte Ängste, die sich auf eine Vielzahl von Situationen beziehen können. Im Fallbeispiel 1 wird ein Patient mit einer charakteristischen spezifischen sozialen Phobie vorgestellt.
Fallbeispiel 1:
Ein 48-jähriger Chemiker leidet unter starken Ängsten, zu zittern. Erstmals zeigte sich die Problematik, als er noch studierte. Er habe damals eine große Unruhe empfunden, wenn andere Menschen ihm bei der Arbeit (insbesondere bei chemischen Experimenten) zugesehen hätten. In der Regel versuchte er, solchen Situationen aus dem Wege zu gehen, indem er unter Vorwänden den Raum verlassen habe oder (im weiteren Verlauf) erst sehr spät ins Labor gekommen sei und dann im Wesentlichen nachts gearbeitet habe. Seine größte Befürchtung sei immer gewesen, dass jemand sehen könnte, wie er zittere und „vor versammelter Mannschaft“ die anderen Anwesenden auf sein Zittern aufmerksam machen könnte. Er denke, dass so etwas dazu führen könne, dass er „endgültig unten durch“ wäre. Die Ängste hätten sich über mittlerweile zwanzig Berufsjahre erhalten, er habe sich „eigentlich damit arrangiert“. Große Angst mache ihm jedoch die Tatsache, dass die Problematik zunehmend auch sein Privatleben beeinflusse: Er habe festgestellt, dass er in den Supermarkt immer Bargeld mitnehme, da er fürchte, bei der Unterschrift auf dem Kreditkartenbeleg zu zittern. Auch im häuslichen Umfeld gebe es Ängste, beispielsweise anlässlich eines Abends, an dem er mit seiner Frau und Freunden ein Gesellschaftsspiel spielen wollte und dies zwischenzeitlich unter einem Vorwand aus Angst zu zittern abgebrochen habe. Seit diesem Abend fühle er sich „total in der Defensive“ und befürchte, dass seine Ängste ihm „das ganze Leben versauen“.
Im Gegensatz zu diesem Patienten, bei dem sich die Ängste hauptsächlich auf eine Situation (vor anderen Menschen zu zittern) bezieht, leiden viele Patienten unter sehr generalisierten sozialen Ängsten, die in der Regel eine Vielzahl von sozialen Situationen umfassen (vgl. Fallbeispiel 2).
Fallbeispiel 2:
Eine 27-jährige Medizinstudentin berichtet, dass sie bereits seit ihrer Kindheit unter ausgeprägten Ängsten leide, wenn sie mit anderen Menschen in Kontakt komme. Besonders ausgeprägt seien die Ängste, wenn es um öffentliches Sprechen gehe (z.B. Referate halten), aber auch andere Situationen – wie z.B. von Kommilitonen angesprochen zu werden oder auch jemanden auf der Straße anzusprechen – empfinde sie als sehr schwierig. Sie befürchte, in solchen Situationen „nichts herauszubekommen“ und somit auf die Interaktionspartner seltsam zu wirken. Häufig fürchte sie auch, in solchen Situationen zu erröten. Um nicht in diese unangenehmen Situationen zu kommen, habe sie sich angewöhnt, kaum Kontakt zu anderen Menschen zu haben. Sie sei sich sicher, dass ihre Kommilitonen sie für seltsam hielten und leide sehr darunter. In den letzten Monaten habe sie darüber hinaus bemerkt, dass sich ihre Stimmung sehr verschlechtert habe. Sie erlebe ihr gesamtes Leben als sinnlos, auch das Studium mache ihr keine Freude mehr. Sie habe den Eindruck, dass das, was sie in der Vorlesung Psychiatrie zur Depression gehört habe, auf sie zuträfe und sie mache sich große Sorgen, jetzt auch noch dieses Problem zu haben.
Im ICD-10 (WHO, 1991) findet sich eine dem DSM-IV weitgehend vergleichbare Definition der Sozialen Phobie (vgl. Tabelle 2), wobei jedoch insbesondere das B-Kriterium als problematisch gelten muss, da die in diesem Kriterium genannten spezifischen Ängste bei vielen Patienten mit ausgeprägten generalisierten sozialen Ängsten nicht vorhanden sein müssen.
Tabelle 2: Diagnostische Kriterien der Sozialen Phobie nach ICD-10
ICD-10: Soziale Phobie (300.23) |
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A: |
Entweder (1) oder (2): |
B: |
Mindestens zwei Angstsymptome in den gefürchteten Situationen mindestens einmal seit Auftreten der Störung sowie zusätzlich mindestens eines der folgenden Symptome: |
C: |
Deutliche emotionale Belastung durch die Angstsymptome oder das Vermeidungsverhalten. Einsicht, dass die Symptome oder das Vermeidungsverhalten übertrieben und unvernünftig sind. |
D: |
Die Symptome beschränken sich vornehmlich auf die gefürchtete Situation oder auf die Gedanken an diese. |
E: |
Die Symptome des Kriteriums A sind nicht bedingt durch Wahn, Halluzinationen oder andere Symptome der Störungsgruppen organische psychische Störungen, Schizophrenie und verwandte Störungen, affektive Störungen oder eine Zwangsstörung und sind keine Folge einer kulturell akzeptierten Anschauung. |
Ein wesentliches Problem im Umgang mit der Sozialen Phobie stellt die Abgrenzung „pathologischer“ sozialer Ängste von alltäglichen (subklinischen) sozialen Ängsten dar, da letztere bekanntermaßen sehr verbreitet sind: Einer Untersuchung von Stein, Walker und Forde (1994) zufolge gaben 61 % einer Bevölkerungsstichprobe an, Ängste in mindestens einer sozialen Situation zu empfinden; darüber hinaus lehrt auch die weniger wissenschaftlich fundierte Alltagsbeobachtung, dass einzelne Situationen (z.B. einen Vortrag vor einem großen Auditorium zu halten) bei den meisten Menschen zumindest moderate soziale Ängste hervorruft. In Kriterium E des DSM-IV („beeinträchtigt deutlich die normale Lebensführung“, vgl. Tabelle 1) bzw. Kriterium C des ICD-10 („Deutliche emotionale Belastung durch die Angstsymptome oder das Vermeidungsverhalten, vgl. Tabelle 2) wird dementsprechend gefordert, dass die Ängste ein Ausmaß erreichen müssen, das mit einem entsprechenden Leidensdruck einhergeht. Dieser zeigt sich in der Regel sowohl in beruflichen als auch in privaten bzw. familiären Bereichen (vgl. unten).
Schätzungen zur Prävalenz Sozialer Phobien liegen beispielsweise aus dem „National Comorbidity Survey (Magee, Eaton, Wittchen, McGonagle & Kessler, 1996) vor. Die Lebenszeitprävalenz liegt demnach bei ca. 13 %, die Jahresprävalenz bei knapp 8 %. Somit wird die Soziale Phobie als die dritthäufigste psychische Störung (nach Alkoholabhängigkeit und Depression) betrachtet. Der Beginn liegt in drei Vierteln der Fälle vor dem 16. Lebensjahr, Frauen sind gegenüber Männern mit einem Verhältnis von 1,4 : 1 vertreten. Der Verlauf ist in der Regel chronisch.
Soziale Phobien gehen, insbesondere was den generalisierten Subtyp angeht, sehr häufig mit der vermeidend-selbstunsicheren Persönlichkeitsstörung (vgl. Heidenreich & Stangier, 2002b) einher. Einschlägige Schätzungen vermuten, dass zwischen 56 und 90 % der Patienten mit generalisierter Sozialer Phobie auch unter einer selbstunsicheren Persönlichkeitsstörung leiden (vgl. Heidenreich & Stangier, 2002b). Eine Analyse der entsprechenden Störungskriterien belegt, dass diese „Komorbidität“ im Wesentlichen auf eine deutliche Kriterienüberlappung zurückzuführen ist. Von besonderem Interesse ist in diesem Zusammenhang der Befund, dass sich auch soziale Phobien in der Regel früh (d.h. zum größten Teil in oder vor der Pubertät) manifestieren (vgl. Lieb & Müller, 2002).
Aber auch mit anderen Störungen liegen sehr hohe Komorbiditäten vor: Im National Comorbidity Survey (Magee et al., 1996) wiesen beispielsweise 37 % der Patienten mit Sozialer Phobie auch eine Major Depression auf. Knapp 24 % der Patienten mit Sozialer Phobie erfüllten die Kriterien für eine Alkoholabhängigkeit. Die Gesamtkomorbidität lag bei 81 % – d.h. lediglich 19 % der Patienten mit Sozialer Phobie wiesen ausschließlich eine Soziale Phobie auf.
Vor allem in neueren Untersuchungen (vgl. Stangier, Heidenreich & Peitz, 2003a, S. 20f.) zeigte sich, dass Soziale Phobien häufig mit massiven Beeinträchtigungen der psychosozialen Funktionsfähigkeit einhergehen, die u.a. einen niedrigeren sozioökonomischen Status, Schwierigkeiten bei der Arbeit, in der Ehe und in der Partnerschaft betreffen
Diagnostik Sozialer Phobien
Zur Erfassung Sozialer Phobien wurde eine Vielzahl von Instrumenten entwickelt, die im Folgenden kurz vorgestellt werden sollen (für eine ausführliche Übersicht siehe Heidenreich & Stangier, 2002a). Aus den obigen Ausführungen zur Komorbidität der Sozialen Phobie ist zu folgern, dass eine angemessene Diagnostik bei Sozialer Phobie sich nie ausschließlich auf soziale Ängste richten darf, sondern stets ein weiteres Spektrum an Störungen (etwa auch Depression und Substanzmissbrauch bzw. -abhängigkeit) umfassen muss. Strukturierte Interviews wie das SKID-I und SKID-II (Wittchen, Zaudig & Fydrich, 1997) sind hierfür besonders geeignet. Das SKID-I erfasst auch die sozialphobische Symptomatik. Tabelle 3 listet wesentliche Instrumente auf, die im Zusammenhang mit Sozialen Phobien eingesetzt werden können.
Tabelle 3: Diagnostische Instrumente bei Sozialer Phobie (nach Heidenreich & Stangier, 2002a)
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Instrumente |
Strukturierte Interviews |
Strukturiertes Klinisches Interview für DSM-IV (SKID-I u. –II) |
Standardisierte Selbst-beurteilungsinstrumente |
Soziale Phobie-Inventar (SPIN) |
Fremdbeurteilung |
Liebowitz-Soziale-Angst-Skala (LSAS) |
Checklisten zum kognitiven Modell nach Clark und Wells (1995) |
Fragebogen zu sozialphobischen Kognitionen (SPK) |
Unter den Selbstbeurteilungsinstrumenten sind die Soziale Interaktions-Angst-Skala (SIAS), die Soziale Phobie-Skala (SPS) sowie das Social Phobia and Anxiety Inventory (SPAI) besonders geeignet, um soziale Ängste zu erfassen. Für diese Skalen liegen Cutoff-Werte vor, die eine erste Beurteilung des Schweregrades sozialer Ängste ermöglichen (Stangier, Heidenreich, Berardi, Golbs & Hoyer, 1999). Ein international gebräuchliches Instrument zur Fremdbeurteilung von sozialer Angst und Vermeidung stellt die Liebowitz-Skala dar (Stangier & Heidenreich, 2003).
Einzelne Elemente des kognitiven Modells von Clark und Wells (1995) – das weiter unten ausführlich vorgestellt wird – können mittels spezifischer Checklisten erfasst werden (vgl. Stangier et al., 2003a): Der „Fragebogen zu sozialphobischen Kognitionen“ (SPK) erfasst (automatische) Gedanken, die im Rahmen einer Sozialen Phobie von Bedeutung sind; der „Fragebogen zu sozialphobischem Verhalten“ (SPV) erfasst charakteristische Sicherheitsverhaltensweisen und der „Fragebogen zu sozialphobischen Einstellungen“ (SPE) erfasst konditionale und unkonditionale Annahmen, die im Modell von Clark und Wells (1995) eine wichtige Rolle spielen. Sämtliche Instrumente können und sollten sowohl zur Diagnostik bei Therapiebeginn als auch zur Einschätzung des Verlaufs eingesetzt werden.
Erklärungsmodelle für Soziale Phobie
Wie für nahezu alle psychischen Störungen wurde auch für Soziale Phobien eine Vielzahl verschiedener Erklärungsmodelle formuliert, die an dieser Stelle nur kurz genannt werden können: Ausführliche Darstellungen finden sich in Stangier und Fydrich (2002).
Unter lerntheoretischer Perspektive sind zunächst Konditionierungstheorien zu nennen, die eine Hemmung des spontanen Gefühlsausdrucks als wesentlichen pathogenen Faktor für die Entwicklung sozialer Ängste begreifen. Modelle zu sozialen Kompetenztdefiziten nehmen an, dass Patienten mit Sozialer Phobie primär Defizite in der sozialen Performanz aufweisen und deshalb Schwierigkeiten in sozialen Interaktionen erleben. Bindungstheoretische Ansätze postulieren, dass frühe Beziehungserfahrungen den Hintergrund für soziale Ängste bilden. Ähnliche Annahmen zur Genese sozialer Ängste werden auch von tiefenpsychologisch orientierten interpersonellen Theoretikern sowie psychodynamischen Ansätzen getroffen. Entwicklungspsychologische Theorien beziehen sich auf Befunde von Zwillingsstudien, die eine erbliche Disposition wahrscheinlich machen; die Theorie der Verhaltenshemmung („behavioral inhinbition“) postuliert, dass im Hinblick auf dieses Merkmal deutliche, früh beobachtbare Unterschiede zwischen Menschen bestehen. In neurobiologischen Theorien spielen neuronale Schaltkreise sowie einzelne Neurotransmitter eine herausragende Rolle für das Verständnis pathologischer sozialer Ängste.
Im Bereich der kognitiven Theorien formulierten Beck, Emery und Greenberg (1985) erstmals Hypothesen zur Entstehung und Aufrechterhaltung sozialer Ängste: In ihrer Konzeption bewerten Menschen mit sozialen Ängsten sich selbst als inkompetent und nicht zureichend – während sie gleichzeitig anderen Menschen eine äußerst kritische Grundhaltung unterstellen. Beck et al. (ebd.) nehmen an, dass diese Muster im Laufe der frühen Entwicklung entstehen, z.B. durch Modelllernen von den Eltern. Als besonders vulnerabel gelten Übergangsphasen (z.B. in der Pubertät), in denen die Umgebung neue Anforderungen stellt, für die noch keine hinreichenden Bewältigungsmöglichkeiten vorliegen. Nach Beck et al. können diese Muster häufig über lange Zeit „verborgen“ bleiben, bis sie in bestimmten Situationen wieder ausgelöst werden (ebd.).
Eine wesentlich umfassendere Konzeption der der Sozialen Phobie zugrunde liegenden kognitiven Mechanismen, die auf den Arbeiten von Beck et al. (ebd.) fußt, legten Clark und Wells (1995) vor: In ihrem kognitiven Modell der Sozialen Phobie werden spezifische Mechanismen der Informationsverarbeitung unterschieden, die die Aufrechterhaltung Sozialer Phobien erklären können. Eine schematische Übersicht zum kognitiven Modell der Sozialen Phobie nach Clark und Wells (ebd.) findet sich in Abbildung 1.
Es wird angenommen, dass einzelne soziale Situationen (vermittelt durch in der Entwicklung verankerte Schemata) automatische Gedanken hervorrufen, die sich um eine befürchtete negative Bewertung durch andere Menschen drehen. Diese Gedanken weisen im Wesentlichen drei direkte Auswirkungen auf: 1. führen sie zu sog. „Sicherheitsverhaltensweisen“, d.h. Verhaltensstrategien, die dazu dienen sollen, das Eintreten der gefürchteten „Katastrophe“ zu verhindern; 2. führen sie zu einer Fokussierung der Aufmerksamkeit auf sich selbst, sodass zunehmend weniger Aufmerksamkeitsressourcen für die reale Auseinandersetzung mit der Situation vorhanden sind; 3. lösen diese automatischen Gedanken körperliche Angstsymptome aus, die im Anschluss von Patienten intensiv verarbeitet werden (u.a. als Hinweis darauf, dass die Situation „wirklich gefährlich“ ist). Wie aus Abbildung 1 ersichtlich ist, nehmen Clark und Wells (1995) an, dass die Elemente des Modells auf komplexe Art und Weise interagieren und sich gegenseitig aufrechterhalten. Neben den in Abbildung 1 dargestellten Prozessen betonen Clark und Wells (ebd.) auch die Bedeutung von Informationsverarbeitung vor und nach sozialen Situationen: In der „antizipatorischen Verarbeitung“ stellen sich Patienten besonders gefürchtete Ausgänge sozialer Situationen intensiv vor und bauen so zunehmend stärkere Ängste aus; im Gegensatz dazu findet sich in der nachträglichen Verarbeitung („post mortem“) eine selektive Verarbeitung der vorhergegangenen Situation, die eine weitere Festigung dysfunktionaler Überzeugungen wahrscheinlich macht. Ein wesentliches Merkmal des Modells von Clark und Wells stellen eine Vielzahl von Grundlagenarbeiten dar, die die in diesem Modell formulierten Hypothesen überprüfen (vgl. Clark & Ehlers, 2002) und großteils bestätigen.
Abbildung 1: Kognitives Modell von Clark und Wells (1995)
„Klassische“ kognitiv-verhaltenstherapeutische Behandlung
In der kognitiv-verhaltenstherapeutischen Behandlung der Sozialen Phobie lassen sich verschiedene Zugangswege unterscheiden. Empirische Ergebnisse zur Wirksamkeit kognitiv-behavioraler Ansätze werden anschließend nur kurz vorgestellt. Detailliert soll ausschließlich auf eine Behandlung eingegangen werden, die auf dem kognitiven Modell der Sozialen Phobie nach Clark und Wells (1995) fußt.
Behandlungselemente, die bei Sozialer Phobie eingesetzt wurden, sind das soziale Kompetenztraining, Entspannungstechniken, Exposition, kognitive Umstrukturierung sowie Kombinationen aus diesen einzelnen Elementen (für einen ausführlichen Überblick vgl. Harb & Heimberg, 2002). Ein sehr gut untersuchtes Behandlungsprogramm stellt das kognitiv-behaviorale Gruppenbehandlungskonzept der Arbeitsgruppe um Heimberg dar (Cognitive-behavioral Group Treatment for Social Phobia, Heimberg & Becker, 2002). In diesem Behandlungskonzept werden insgesamt 12 Gruppensitzungen von zwei bis zweieinhalb Stunden Dauer durchgeführt. Nach der Modellableitung in der ersten Sitzung folgt in der zweiten Sitzung eine Einführung in die kognitive Umstrukturierung. Den größten Teil der Behandlung nehmen die Exposition in Rollenspielen (in der Gruppe) und die selbstangeleitete Exposition ein. In der zwölften und letzten Sitzung erfolgt eine abschließende Bewertung des Behandlungserfolges.
Kognitiv-verhaltenstherapeutische Behandlung auf der Basis des Modells von Clark und Wells
Im Gegensatz zum Programm von Heimberg wird die auf dem kognitiven Modell der Sozialen Phobie basierende Therapie nach Clark und Wells (1995) in der Regel als Einzelbehandlung durchgeführt. Die Sitzungen umfassen jeweils eine bis eineinhalb Stunden und beinhalten neben einer Modellableitung eine kognitive Vorbereitung auf Rollenspiele, in vivo und selbstangeleitete Exposition sowie kognitive Umstrukturierung. Der wesentliche Unterschied zu bisher verfügbaren Programmen liegt in einer sehr detaillierten Vorbereitung auf die Exposition, deren Ziel eine Veränderung der Informationsverarbeitung in sozialen Situationen ist (vgl. Tabelle 4). Das wesentliche Ziel des gesamten Behandlungspaketes ist es, mit dem Patienten gemeinsam Strategien für die Überprüfung negativer Gedanken und Überzeugungen zu erarbeiten.
Tabelle 4: Behandlungselemente in der Therapie nach Clark und Wells (1995)
Ableitung eines idiosynkratischen Modells |
Der Beginn der Behandlung liegt in der Erarbeitung eines individuellen Erklärungsmodells, das die wesentlichen Komponenten des kognitiven Modells umfasst (z.B. Grundüberzeugungen, automatische Gedanken, physiologische Veränderungen, Sicherheitsverhaltensweisen). Aufbauend auf diesem Modell werden gezielt Interventionen eingesetzt, die sich auf Sicherheitsverhalten, problematische Selbstaufmerksamkeit sowie die verzerrte Verarbeitung des sozialen Erscheinungsbildes beziehen. Dieser Schritt ist sehr wesentlich, weil eine ausschließliche „Exposition“ ohne Modifikation dieser kognitiven Prozesse in der Regel nur schwer zu einer Veränderung der Einstellungen führt – erst durch kognitive Vorbereitung wird der Weg geebnet für die Integration neuer Informationen (Clark & Wells, 1995). Im Gegensatz zur klassischen Sicht der Exposition, bei der primär eine (physiologische) Habituation angestrebt wird, ist das wesentliche Ziel der Exposition in der Konzeption von Clark und Wells die Überprüfung negativer Erwartungen (ebd.). Dies wird in der Therapie dadurch erreicht, dass angstauslösende Situationen aufgesucht werden, die die entsprechenden kognitiven Schemata auslösen. In weiteren Schritten wird überprüft, ob die gefürchteten Konsequenzen in der Realität auch aufgetreten sind. Im Gegensatz zur Flooding-Behandlung, die bei anderen Angststörungen sehr häufig eingesetzt wird, ist für Soziale Phobien ein mittleres Angstniveau zu bevorzugen. Klassische kognitive Interventionen wie verbale Restrukturierung negativer automatischer Gedanken (z.B. durch Spaltentechnik nach Beck oder Sokratischem Dialog) wird abschließend durchgeführt. Es ist zu betonen, dass der Schwerpunkt der Behandlung wann immer möglich auf experimentellen Überprüfungen negativer automatischer Gedanken und erst sekundär auf verbalen Strategien liegt. Die folgende Darstellung des Behandlungsprogramms folgt dem Behandlungsmanual von Stangier et al. (2003a).
Therapeutische Beziehung
Per definitionem weisen Patienten mit Sozialer Phobie Probleme in zwischenmenschlichen Beziehungen auf, sodass (insbesondere beim Vorliegen einer generalisierten Sozialen Phobie bzw. selbstunsicheren Persönlichkeitsstörung) davon auszugehen ist, dass sich diese Schwierigkeiten auch in der therapeutischen Beziehung niederschlagen können. An erster Stelle ist dabei zu nennen, dass Patienten in der Regel Angst vor negativer Bewertung durch den Therapeuten oder die Therapeutin spüren, die häufig mit starken Schamgefühlen einhergeht. Durch den Einsatz von Sicherheitsverhaltensweisen können die Patienten auch versuchen, eine befürchtete negative Bewertung durch den Therapeuten abzuwenden. Diese Versuche können ihrerseits dazu führen, dass das Verhalten der Patienten seltsam wirkt (z.B. indem sie nur sehr wenig sprechen). Die Vermeidung kann sich auch auf die Therapie sowie das Ansprechen belastender Dinge (z.B. Hausaufgaben, die nicht so „gut“ gelaufen sind, wie der Patient es sich vorgestellt hat) beziehen. Daraus ergibt sich auch die Gefahr, dass Patienten die Therapie vorzeitig abbrechen, um sich nicht mit den aktivierten Schamgefühlen auseinander setzen zu müssen. Von therapeutischer Seite ist besonders darauf zu achten, dass Verhaltensweisen, die bei einer Vielzahl von Patienten sehr hilfreich sind (z.B. räumliche Nähe, empathisches Eingehen auf Patienten) besonders in der Anfangsphase für Patienten mit einer Sozialen Phobie eine Überforderung darstellen kann (vgl. Butler & Wells, 1995). Es ist deshalb in der Regel sinnvoll, zunächst konkrete aufgabenbezogene Interventionen wie die Ableitung des Modells und die Modifikation von Sicherheitsverhaltensweisen durchzuführen und erst in einer späteren Therapiephase auf Auswirkungen der Sozialen Phobie auf den therapeutischen Kontakt zu sprechen zu kommen. In diesem Zusammenhang bezeichnet „Geleitetes Entdecken“ einen Gesprächsstil, der dadurch gekennzeichnet ist, dass durch den Therapeuten Inhalte und Strukturen der Sitzungen vorgegeben werden (z.B. durch Fokusbildung und Einbringen spezifischer Interventionen), während Interpretationen und weiterführende Schlussfolgerungen so weit wie möglich durch den Patienten übernommen werden. Durch diese Art des gemeinsamen Bearbeitens schwieriger Fragen ergibt sich somit eine Problemorientierung, die beim Patienten keine unbewältigbare Unsicherheit und Gefühle der Unterlegenheit hervorruft.
Phase 1: Ableitung eines individuellen Modells der SP
Den Kernpunkt der Behandlung stellt zunächst die individuelle Fallkonzeption dar, in der für jeden Patienten spezifisch die wesentlichen Modellelemente zusammengefasst werden. Wie in der klassischen Verhaltensanalyse wird eine einzelne Situation, bzw. werden einzelne Situationen, in der die sozialen Ängste auftreten, herausgegriffen und ausführlich exploriert. Es empfiehlt sich hierbei, die Ableitung des Modells an einem Flipchart (ideal) oder auf einem Blatt Papier, das vor dem Therapeuten und Patienten liegt, vorzunehmen. Tabelle 5 gibt einige Fragen vor, die zur Exploration der Modellelemente hilfreich sein können.
Tabelle 5: Exploration zentraler Elemente des Modells von Clark und Wells (1995), modifiziert nach Stangier et al. (2003a, S. 85ff.)
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Mögliche Fragen in der Exploration |
Gedanken |
Welche Befürchtung hatten Sie? |
Angst-Symptome |
Als Sie befürchteten, dass ... eintreten könnte, was haben Sie an Ihrem Körper bemerkt? |
Sicherheitsverhalten |
Haben Sie etwas getan, um das Eintreten von ... (gefürchtete Konsequenz) zu verhindern? |
Selbstaufmerksamkeit und selbstbezogene Gedanken, Gefühle und Bilder |
Als Sie befürchteten, dass ... passieren würde, |
In der Regel werden zunächst (nach der Darstellung der Situation) die negativen Gedanken exploriert und notiert. Die in Tabelle 5 aufgelisteten Fragen stellen dabei lediglich Orientierungspunkte dar, die um spezifische Fragen ergänzt werden sollten. Hilfreich ist auch der Einsatz des Fragebogens zu sozialphobischen Kognitionen (SPK), der eine Reihe von charakteristischen Gedanken auflistet. Im Anschluss daran werden die Angstsymptome (inkl. kognitiver Auswirkungen wie Konzentrationsprobleme) erfasst. Wichtig ist, zu diesem Zeitpunkt noch keine Vorgaben über das (hypothetische) Zusammenwirken der Modellelemente zu machen, da diese im Rahmen späterer Verhaltensexperimente herausgearbeitet werden sollen. Die Exploration der Sicherheitsverhaltensweisen stellt eine besondere Herausforderung dar, da diese häufig sehr subtil und dem Patienten nicht bewusst sind. Sicherheitsverhaltensweisen können u.a. antizipatorisch (z.B. exzessive Vorbereitung, Einnahme von Alkohol oder Medikamenten), kaschierend (z.B. Verbergen befürchteter Symptome) und kontrollierend (Einsatz von Strategien, die das eigene Verhalten strikt reglementieren) sein. Die Exploration der Sicherheitsverhaltensweisen kann durch den Fragebogen zu sozialphobischem Verhalten (SPV) erleichtert werden. In der Regel wird es jedoch erst im Rahmen der später durchgeführten Verhaltensexperimente möglich sein, die Sicherheitsverhaltensweisen adäquat zu erfassen. Nach der Exploration der Sicherheitsverhaltensweisen erfolgt die Exploration der erhöhten Selbstaufmerksamkeit und der selbstbezogenen Gedanken, Gefühle und Bilder. Die Fragen sollten sich dabei sowohl auf die Ausrichtung der Aufmerksamkeit (nach außen vs. auf sich selbst) als auch auf deren Inhalt beziehen: Bei Patienten mit Sozialer Phobie finden sich regelhaft stark verzerrte Selbstwahrnehmungen, die auf einer Konstruktion des sozialen Erscheinungsbildes auf der Basis eigener Empfindungen beruhen. Abschließend werden erste Bezüge zwischen den Modellelementen hergestellt – etwa wie sich Sicherheitsverhaltensweisen und die wahrgenommenen Angstsymptome auf die selbstbezogenen Gedanken, Gefühle und Bilder auswirken. Von großer Bedeutung ist an dieser Stelle jedoch, die Erkundung der exakten Zusammenhänge auf die im nächsten Schritt folgenden Verhaltensexperimente zu verschieben.
Abbildung 2 stellt eine Spezifikation des in Abbildung 1 vorgestellten Modells von Clark und Wells (1995) bezogen auf den im ersten Fallbeispiel vorgestellten Patienten dar.
Abbildung 2: Kognitives Modell von Clark und Wells (1995) bezogen auf das Abbildung
Phase 2: Kognitive Vorbereitung auf Exposition
Wie bereits oben dargelegt wurde, ist aus Sicht des kognitiven Modells nicht zu erwarten, dass ausschließlich die Konfrontation mit einer angstauslösenden Situation zu einer Modifikation ungünstiger Annahmen führt. In einem vorgeschalteten Schritt müssen daher wesentliche Elemente der Informationsverarbeitung verändert werden. Zu diesem Zweck werden zunächst Rollenspiele durchgeführt, die die Konsequenzen der Sicherheitsverhaltensweisen und der Selbstaufmerksamkeit überprüfen (vor allem im Hinblick auf die Angst und das Eintreffen von Befürchtungen). Mittels Videofeedback wird versucht, eine zutreffendere Repräsentation der sozialen Erscheinungsweise zu etablieren. Die Rollenspiele sind dabei durchweg als Verhaltensexperimente konzipiert, die einem festen Ablaufschema folgen (vgl. Stangier et al., 2003a, S. 69). Die Vorbereitung der Experimente ist von zentraler Bedeutung: Sowohl die Auswahl der Situation (Schwierigkeitsgrad, Herstellbarkeit) als auch der relevanten zu untersuchenden Merkmale (z.B. Anspannung, vermutete Wirkung etc.) sollte sehr sorgfältig erfolgen, da nur bei geeigneten Situationen damit zu rechnen ist, dass beim Patienten nachhaltige Erfahrungen ausgelöst werden können. Besonders häufige Rollenspielsituationen können z.B. Unterhaltungen, kurze Vorträge vor einer kleinen Gruppe oder Unterhaltungen mit einer unbekannten Person (in der Regel Kollegen des Therapeuten) sein. Sämtliche dieser Verhaltensexperimente werden auf Video aufgenommen, sodass zu einem späteren Zeitpunkt Videofeedback gegeben werden kann.
Die entsprechende Rollenspielsituation wird mehrfach gespielt: Im ersten Durchgang wird der Patient instruiert, sein charakteristisches Sicherheitsverhalten (z.B. stark auf sich selbst achten, Gesprächsinhalte im Kopf „proben“, Reagenzgläser sehr fest halten) so stark wie möglich durchzuführen und seine Aufmerksamkeit so weit wie möglich ausschließlich auf sich selbst zu richten. Im Anschluss an dieses Experiment werden die zuvor detailliert festgehaltenen Zielvariablen eingeschätzt. Dies geschieht in quantitativer Form (in der Regel auf zehnstufigen Skalen) und umfasst sowohl das Ausmaß an Sicherheitsverhalten (wie stark habe ich ... gemacht?), die subjektive Einschätzung von Angst und Anspannung sowie die subjektive Einschätzung der nach außen wahrnehmbaren Auswirkungen der Angst. Im Anschluss daran wird die Situation erneut im Rollenspiel durchgegangen – allerdings erhält der Patient diesmal die Instruktion, das Sicherheitsverhalten so weit wie möglich zu unterlassen und die Aufmerksamkeit nach außen (d.h. auf die anstehende Aufgabe bzw. den Interaktionspartner) zu richten. Anschließend werden dieselben Variablen erneut eingeschätzt. In Einzelfällen kann es sinnvoll sein, abschließend noch einmal einen Durchgang mit Sicherheitsverhalten und Selbstaufmerksamkeit durchzuführen, um zu überprüfen, ob eventuell auftretende Verbesserungen hinsichtlich der eingeschätzten Merkmale in der zweiten Situation ausschließlich auf Gewöhnungseffekte zurückgehen. Die beiden Modellaspekte Sicherheitsverhalten und Selbstaufmerksamkeit können dabei auch in jeweils einzelnen Rollenspielen getrennt untersucht werden. Ein Beispiel für ein entsprechendes Protokoll – bezogen auf den im ersten Fallbeispiel kurz vorgestellten Patienten – findet sich in Abbildung 3. Es ist darauf zu achten, für jede einzelne Rollenspielsituation jeweils noch eine weitere Spalte einzufügen, in die in der darauf folgenden Sitzung die Einschätzung des Videoratings eingetragen werden kann.
Abbildung 3: Protokoll des Rollenspiels zu Selbstaufmerksamkeit/Sicherheitsverhalten
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SV+ |
SV– |
SV+ |
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Sicherheitsverhalten: Glaskolben sehr fest halten, Aufmerksamkeit von sich ablenken wollen, genau auf Anspannungsgefühle und Zittern achten |
9 |
5 |
8 |
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Selbstaufmerksamkeit |
9 |
5 |
9 |
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Anspannung |
8 |
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3 |
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5 |
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Zittern Intensität |
6 |
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2 |
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5 |
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Zittern sichtbar? |
Ja |
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Nein? |
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Ja |
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Abbildung 3 belegt zunächst, dass es dem Patienten gelungen ist, sein Sicherheitsverhalten entsprechend der Instruktion zu manipulieren. Auch die Selbstaufmerksamkeit ist entsprechend der Erwartung in der Bedingung mit Sicherheitsverhalten höher (allerdings ist es dem Patienten erwartungsgemäß nicht gelungen, das Sicherheitsverhalten gänzlich zu unterlassen und die Aufmerksamkeit ausschließlich auf die Umgebung zu richten). Bemerkenswert ist, dass der Patient sich in den beiden Bedingungen mit Sicherheitsverhalten wesentlich angespannter fühlte als in der Bedingung ohne Sicherheitsverhalten – auch das wahrgenommene Zittern war in diesen Situationen deutlich ausgeprägter als in der Situation ohne Sicherheitsverhalten. Die daraus ableitbaren Schlussfolgerungen sind, dass das Sicherheitsverhalten nicht hilft, sondern eventuell eher noch schadet und dass das Ausmaß der empfundenen Angst mit der Einschätzung des vermuteten Erscheinungsbildes zusammenhängt.
In der darauf folgenden Sitzung wird gemeinsam mit dem Patienten die Videoaufzeichnung der Experimente angesehen und eine erneute Einschätzung vorgenommen. Dieses Vorgehen ist deshalb von großer Bedeutung, weil Patienten mit Sozialer Phobie dazu neigen, eigene Körpergefühle heranzuziehen, um ihre Außenwirkung zu erschließen – also anzunehmen, dass „man so unsicher aussieht, wie man sich fühlt“. Wichtig ist die Absprache, dass der Patient – so gut es gelingt – das Video einschätzen soll „als handele es sich um eine fremde Person“, da sonst erneut negative Gedanken und Gefühle aktiviert werden könnten. Die Ergebnisse der Videoanalysen belegen in der Regel, dass die „objektiven“ Einschätzungen besser ausfallen als die eigenen Einschätzungen direkt nach dem Rollenspiel. Mögliche Schlussfolgerungen, die mit dem Patienten abschließend erarbeitet werden können, sind, dass Sicherheitsverhalten, auch wenn es über Jahre eingesetzt wurde, eher nachteilige Auswirkungen hat und dass die subjektive Wahrnehmung nicht das nach außen beobachtbare Verhalten widerspiegelt.
Phase 3: Exposition in vivo und Verhaltensexperimente
Nach der Überprüfung der Auswirkungen des Sicherheitsverhaltens und der selbstbezogenen Aufmerksamkeit sollte es dem Patienten deutlich geworden sein, dass sowohl Sicherheitsverhaltensweisen als auch internale Aufmerksamkeitslenkung die Problematik nicht verhindern, sondern in der Regel verschlechtern. Patienten werden deshalb dazu angehalten, auch außerhalb der Therapiesituation angstauslösende Situationen aufzusuchen und, analog zum Vorgehen in der Therapie, diese ohne Sicherheitsverhalten und mit externaler Aufmerksamkeitslenkung durchzuführen. Das Vorgehen ist wiederum in Form von Verhaltensexperimenten zur Überprüfung von Überzeugungen zu konzipieren. Patienten werden demnach dazu angehalten, möglichst häufig gefürchtete Situationen aufzusuchen. In der Therapie werden entsprechende Experimente vorbesprochen, wobei der Schwerpunkt darauf liegen sollte, möglichst wirksame Experimente zu kreieren – d.h. solche, die mit hoher Wahrscheinlichkeit erwartungsdiskrepante Informationen erbringen werden. Auch hier ist es wieder notwendig, konkretes Verhalten (z.B. Zittern) genau zu beschreiben und präzise Indikatoren für eine mögliche Ablehnung oder negative Bewertung anderer Menschen (z.B. abfällige Äußerungen, Kritik, abschätzige Blicke) zu operationalisieren. Es liegt ein „Tagebuch zu Verhaltensexperimenten“ vor (Stangier et al., 2003a), mit dem die Ergebnisse direkt nach dem Experiment festgehalten werden können. Da in der Realität häufig die Angstssymptome (z.B. Zittern) nicht oder wesentlich geringer ausgeprägt als erwartet auftreten, ist es häufig notwendig, Patienten dazu anzuhalten, gefürchtetes Verhalten (z.B. Zittern oder Erröten) bewusst herbeizuführen (z.B. durch Auftragen von Rouge bei Angst zu erröten, Äußern „dummer“ Bemerkungen bei Angst, von anderen nicht intelligent gefunden zu werden etc.) und zu überprüfen, wie die soziale Umwelt reagiert. Wichtig ist jedoch, dass es sich hier nicht um „shame-attack“-Übungen im klassischen Sinne handelt, sondern um konkrete Überprüfungen der Auswirkungen bestimmter Verhaltensweisen im sozialen Kontext. Sollten bestimmte Verhaltensweisen für einzelne Patienten zu angstbesetzt sein (z.B. in einem Restaurant oder in einer Kantine sehr ausgeprägt zittern) kann es sinnvoll sein, dass der Therapeut das entsprechende Verhalten zeigt und der Patient die Reaktionen der Umwelt beobachtet. Die Durchführung der Expositionsübungen bzw. Verhaltensexperimente ist dabei aufgrund der spezifischen Struktur der Sozialen Phobie (es handelt sich schließlich stets um Bewertungen anderer Menschen, die nicht einfach zugänglich sind) in der Regel komplexer als bei anderen Angststörungen und erfordert viel Sorgfalt. Diskrepante Ergebnisse (z.B. negative Erwartungen, die nicht eingetreten sind) sollten durch den Patienten eingeschätzt werden. Auf keinen Fall sollte der Therapeut zu bereitwillig „Erklärungen“ anbieten, die den Patienten überzeugen sollen. Neben die Exposition in Begleitung des Therapeuten tritt im weiteren Verlauf der Therapie zunehmend die selbstangeleitete Exposition; die Aufgabe des Therapeuten ist an dieser Stelle weiterhin, auf eine Unterlassung von Sicherheitsverhaltensweisen und der Externalisierung der Aufmerksamkeit zu schauen. Häufig ist es in der Nachbesprechung dieser Experimente wichtig, kognitive Elemente zu integrieren, z.B. mit dem Patienten zu erarbeiten, wenn spezifische Denkfehler sensu Beck vorliegen (vgl. nächster Abschnitt).
Abbildung 4: Inhalte des Verhaltensexperiment-Tagebuches nach Stangier, Heidenreich & Peitz (2003a)
Tag, Zeit |
Situation |
Vorhersage |
Experiment: |
Ergebnis: |
Was ich daraus lerne: |
Phase 4: Verbale Überprüfung negativer Kognitionen (Kognitive Umstrukturierung)
Neben der über den gesamten Therapieverlauf weiter durchgeführten Exposition bzw. Verhaltensexperimente werden im späteren Therapieverlauf negative Kognitionen auch verbal überprüft. Dies geschieht mittels klassischer kognitiver Therapiestrategien, insbesondere des „Sokratischen Dialogs“.
Ein wesentliches Ziel für verbale Umstrukturierungsmethoden stellen die antizipatorische und die nachträgliche Verarbeitung sozialer Situationen dar. Unter diesen Begriffen verstehen Clark und Wells (1995) die Neigung von Patienten mit einer Sozialen Phobie, sich sowohl vor als auch nach entsprechenden Situationen exzessiv negative Gedanken darüber zu machen. Im Falle der antizipatorischen Verarbeitung kann dies bedeuten, dass Patienten bereits Tage oder Wochen vor einem entsprechenden Ereignis sehr häufig daran denken und sich die gefürchtete Situation „in den schlimmsten Farben“ ausmalen. Analog dazu kommt es nach sozialen Situationen zu selektivem Wiedererinnern der Situation, in der eigenes Versagen etc. im Zentrum steht. Die Bearbeitung dieser Informationsverarbeitungsphänomene orientiert sich am Vorgehen, das Beck zunächst für den Umgang mit depressiven Patienten herausgearbeitet hat:
Die negativen Gedanken werden zunächst (z.B. mittels Tagebüchern) identifiziert und festgehalten. Im Anschluss daran wird herausgearbeitet, welche „Denkfehler“ sensu Beck gemacht werden (z.B. Gedankenlesen, dichotomes Denken, Katastrophisieren etc.). Sollte es möglich sein, bestimmte Befürchtungen in Verhaltensexperimenten zu überprüfen, sollten diese in der Regel den Vorrang vor rein verbalen Methoden haben, da erstere häufig zu einer nachhaltigeren Modifikation negativer Überzeugungen führen. Z.B. können die Auswirkungen von antizipatorischer Verarbeitung in Experimenten überprüft werden, die in ihrer Struktur den oben dargestellten Experimenten zu Sicherheitsverhalten entsprechen. Da antizipatorische Verarbeitung häufig automatisiert ist, kann es notwendig sein, den Patienten durch andere Beschäftigungen (z.B. Gespräch mit dem Therapeuten) anderweitig zu beschäftigen. Im Alltag werden die Patienten dazu angehalten, antizipatorische und nachträgliche Verarbeitung zunächst zu identifizieren, zu unterbrechen und die Aufmerksamkeit auf andere Dinge zu lenken.
Der therapeutische Umgang mit negativen automatischen Gedanken in sozialen Situationen folgt bewährten verbalen kognitiven Strategien. Der Ausgangspunkt kann sowohl in Analysen von zurückliegenden Angstsituationen, Erfassung in diagnostischen Rollenspielen, „affective shifts“ in der Therapiesitzung sowie im Einsatz von Fragebögen (z.B. dem Fragebogen zu sozialphobischen Kognitionen, SPK; Stangier et al., 2003a) liegen. Die so identifizierten Gedanken werden mittels des Sokratischen Dialogs überprüft (vgl. J. Beck, 1999): Nach dem Sammeln von Anhaltspunkten („Beweisen“), die für das Zutreffen der Überzeugung sprechen, werden logische Fehler aufgedeckt (z.B. Gedankenlesen, Zukunft vorhersagen) und Gegenargumente gegen den negativen automatischen Gedanken gesammelt. Abschließend wird eine angemessene Bewertung formuliert und überprüft, inwiefern dieses Vorgehen zu einer Veränderung der mit dem negativen automatischen Gedanken einhergehenden Gefühle geführt hat.
Neben der Bearbeitung negativer automatischer Gedanken in sozialen Situationen ist es bei vielen Patienten mit Sozialer Phobie notwendig, negative Grundüberzeugungen (z.B. „ich bin nicht liebenswert“, „ich bin uninteressant“) zu bearbeiten. Diese sind zumeist biographisch verankert (z.B. belastende Erlebnisse in der Schulzeit, Stigmatisierung, soziale Isolation der Familie) und bilden den Hintergrund für die leichter zugänglichen automatischen Gedanken in den sozialen Situationen. Die Identifikation von Grundannahmen kann durch Fragebogen unterstützt werden (z.B. durch den Fragebogen zu sozialphobischen Einstellungen, SPE; Stangier et al., 2003a). Grundüberzeugungen, die viele Patienten mit Sozialer Phobie aufweisen, beziehen sich auf ein negatives Selbstbild (z.B. „Ich bin unattraktiv, bin ein Versager“), Perfektionismus („Ich muss alles 100 %ig richtig erledigen“) und der Annahme, dass andere Menschen übermäßig kritisch sind (z.B. „Du darfst nie einen Fehler machen, sonst bist du unten durch“). Zur Modifikation negativer Grundüberzeugungen sind insbesondere Strategien geeignet, die spezifisch für die Therapie von Persönlichkeitsstörungen entwickelt wurden (A.T. Beck et al., 1995). Besonders hervorzuheben sind Strategien zum Umgang mit Patienten, die unter einer vermeidend-selbstunsicheren Persönlichkeitsstörung leiden. Stangier, Heidenreich und Peitz (2003a) haben weitere Strategien zusammengestellt, die zur Modifikation von Grundannahmen sinnvoll sein können (z.B. Bildung von Kontinua, Profilvergleiche, „historische Überprüfung“). Da Grundüberzeugungen per definitionem hartnäckig und lang anhaltend sind, ist eine ständige Arbeit daran vor allem im Lebensalltag von allergrößter Bedeutung. Hierbei greifen Verhaltensexperimente und Übungen zur Exposition ineinander.
Phase 5: Therapieabschluss und Rückfallprophylaxe
Vor dem Abschluss der Therapie sollten die zu Beginn der Therapie vorgelegten standardisierten Fragebögen (z.B. SIAS/SPS) erneut vorgelegt werden, um den Therapieerfolg abzuschätzen und um erkennen zu können, in welchen Bereichen noch keine hinreichende Besserung erzielt werden konnte. Für die Rückfallprophylaxe ist es besonders wichtig, eventuelle Rückfallgefährdungen mit dem Patienten zu thematisieren: Hier ist an erster Stelle das erneute Auftreten von Vermeidung und Sicherheitsverhalten zu nennen. Fennell (1999) empfiehlt, die Patienten ihre persönliche „Therapiegeschichte“ aufschreiben zu lassen, die sowohl wichtige Einsichten bezüglich auslösender und aufrechterhaltender Faktoren der Sozialen Phobie als auch zu möglichen Veränderungen von Verhalten und Erleben umfasst. Das Ziel ist es, konkrete Unterstützung für mögliche Rückfallsituationen an die Hand zu geben.
Wichtig sind auch sog. „Booster Sessions“, d.h. erneute Therapietermine längere Zeit nach Abschluss der Therapie, um die wichtigsten Inhalte der Therapie „aufzufrischen“ und möglicherweise erneut aufgetretene Probleme bzw. neue Probleme zu bewältigen. Besonders im Rahmen von belastenden Lebensumständen können mehrere Sitzungen im Sinne einer „Erhaltungstherapie“ sinnvoll sein.
Empirische Ergebnisse
Unter den kontrollierten Wirksamkeitsstudien liegen zum Bereich der psychotherapeutischen Behandlung bisher fast ausschließlich Studien zur kognitiv-behavioralen Therapie vor. Diese wurden in jüngerer Zeit in verschiedenen Metaanalysen zusammengefasst (Fedoroff & Taylor, 2001; Ruhmland & Margraf, 2001). Fedoroff und Taylor (2001) kommen in ihrer Übersichtsarbeit, die Studien bis 1999 berücksichtigt, zur Einschätzung, dass kognitiv-behaviorale Standardbehandlung moderate bis gute Effektstärken aufweist. Studien, die Exposition einsetzten, schnitten dabei mit einer Within-Group-Prä-Post-Effektstärke von 1,08 (Follow-up: 1,31) am besten ab. Besonders bemerkenswert ist, dass sich die Effekte im Laufe des Follow-up weiterhin verbesserten. Sowohl Einzel- als auch Gruppenbehandlung waren effektiv und unterschieden sich nicht hinsichtlich ihrer Wirksamkeit.
Im Vergleich dazu ergab sich für die effektivste Pharmakotherapie (Selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer, vgl. auch Blanco, Antia & Liebowitz, 2002) eine Effektstärke von 2,10, wobei jedoch keine Follow-up-Daten verfügbar sind. Problematisch an der Pharmakotherapie Sozialer Phobien ist, dass nach dem Ende der Akutbehandlung hohe Rückfallraten bestehen, die eine langfristige Pharmakotherapie notwendig machen. Eine für die Zukunft besonders wichtige Frage ist, ob sich durch eine Kombination von kognitiver Verhaltenstherapie mit Pharmakotherapie eine weitere Verbesserung des Behandlungserfolges erzielen lässt. Insbesondere die Frage zur Sequenzierung bestimmter Behandlungsstrategien ist hierbei von Bedeutung.
Zusammenfassend liegen demnach Wirksamkeitsnachweise für kognitive Verhaltenstherapie vor, die jedoch insgesamt noch nicht vollständig befriedigen können: die Effekte sind moderat und zumindest einige Medikamente sind kurzfristig deutlich wirksamer; die Mehrzahl der untersuchten Behandlungen berücksichtigt noch nicht hinreichend neuere Ergebnisse zur Aufrechterhaltung der Sozialen Phobie.
Erste Ergebnisse zu dem hier ausführlicher vorgestellten Therapieansatz, in dem die Grundlagen der Informationsverarbeitung bei Sozialer Phobie stärker berücksichtigt werden, liegen mittlerweile vor: Clark, Ehlers, McManus et al. (2003) führten eine randomisierte kontrollierte Studie durch, in der sie die geschilderte Behandlung mit dem Serotoninwiederaufnahme-Hemmer Fluoxetin (mit Instruktionen zur Selbstexposition) sowie Placebo (mit Instruktionen zur Selbstexposition) verglichen. Sowohl am Ende der Behandlung als auch im 3-Monats- und im 12-Monats-Follow-up war die kognitive Therapie dem Fluoxetin deutlich überlegen. In einer Studie von Stangier, Heidenreich, Peitz, Lauterbach und Clark (2003b) wurde das von Clark und Wells entwickelte Therapieprogramm im Einzel- und Gruppensetting verglichen. Beide Behandlungsmodalitäten führten zu signifikanten Verbesserungen bezüglich SP, die auch nach sechs Monaten noch stabil waren. Sowohl am Ende der Behandlung als auch nach sechs Monaten war jedoch die Einzelbehandlung der Gruppenbehandlung überlegen. Die Effektstärken sowohl der Studie von Clark et al. (2003) als auch von Stangier et al. (2003b) liegen dabei deutlich über den Effekten bisheriger Metaanalysen (z.B. Feodoroff & Taylor, 2001). Die zusätzliche Berücksichtigung zentraler Annahmen und Elemente des kognitiven Modells scheinen demnach zu einer weiteren Verbesserung der Effektivität der Behandlung zu führen.
Ausblick und Erweiterungen
Trotz der ermutigenden Ergebnisse, die mit dem in diesem Artikel geschilderten Therapieansatz erzielt werden konnten, lassen sich einige Anforderungen für die Zukunft benennen, auf die wir abschließend kurz eingehen möchten:
Obwohl die Ergebnisse von Stangier et al. (2003b) nahe legen, dass Einzeltherapie nach dem dargestellten Modell effektiver ist als Gruppentherapie, scheinen uns weitere Untersuchungen notwendig, die die Vorteile des jeweiligen Behandlungssettings genauer untersuchen. Von besonderem Interesse dürfte dabei sein, inwiefern eine Sequenzierung von Einzel- und Gruppenbehandlung oder eine durch Einzelsitzungen unterstützte Gruppenbehandlung sich günstig auswirkt. Sequenzierung und Kombinationen von kognitiver Verhaltenstherapie und Pharmakotherapie sollten ebenfalls weiter untersucht werden, vor allem im Hinblick darauf, ob eine initiale Gabe von Medikamenten den Einstieg in die Therapie erleichtern könnte. Allerdings ist auch mit Schwierigkeiten zu rechnen, vor allem im Hinblick auf Attributionsprozesse. Darüber hinaus sollte untersucht werden, inwiefern die zusätzliche Berücksichtigung anderer Therapieelemente zumindest bei Subgruppen von Patienten mit Sozialer Phobie hilfreich sein könnten. Neben dem Training sozialer Kompetenzen ist hierbei besonders das Entspannungstraining zu nennen. Die größte Herausforderung für die Zukunft dürfte angesichts der hohen Komorbiditätszahlen aus unserer Sicht darin liegen, Strategien für den Umgang mit weiteren Störungen zu entwickeln, die bei Patienten mit Sozialer Phobie vorliegen.
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[1] Dieser Artikel ist erschienen in: Verhaltenstherapie und Psychosoziale Praxis, 35, 499-515.